Seit der Einführung von ChatGPT Ende 2022 hat sich die Diskussion um künstliche Intelligenz (KI) rasant beschleunigt. Was mit einem Hype begann, ist heute ernstzunehmender Bestandteil strategischer Diskussionen in Unternehmen weltweit. Gleichzeitig bleibt ein Graben zwischen Vision und Realität: Zwar ist das technologische Potenzial enorm, doch viele Unternehmen – insbesondere in der Schweiz – zögern noch. Laut der Raiffeisen KMU-Mittelstandstudie 2024 nutzen derzeit lediglich 9 Prozent der KMU KI auf systematische Weise.
Banken im Fokus: Warum gerade hier die Potenziale besonders gross sind
Der Finanzsektor ist geprägt von datengetriebenen Prozessen, wiederkehrenden administrativen Aufgaben und einem hohen Anteil an wissensintensiver Büroarbeit. Genau hier setzt KI an: Automatisierung repetitiver Tätigkeiten, verbesserte Datenanalyse, personalisierte Kundenkommunikation oder Unterstützung bei regulatorischen Anforderungen sind nur einige der vielen Anwendungsmöglichkeiten.
Die Studie verdeutlicht: Fast 80 Prozent der Büroarbeitskräfte in der Schweiz könnten direkt mit KI in Berührung kommen – in keiner anderen Berufsgruppe ist der Anteil so hoch. Für Banken bedeutet das: KI ist nicht nur ein Innovationsinstrument, sondern wird zur Überlebensfrage in einem sich schnell verändernden Marktumfeld.
«Shadow AI» – das ungenutzte Potenzial in den eigenen Reihen
Ein bemerkenswerter Befund der Studie betrifft die sogenannte «Shadow AI»: Während viele Unternehmen zögern, KI strategisch zu implementieren, nutzen Mitarbeitende Tools wie ChatGPT längst informell – häufig ohne Wissen oder Freigabe der IT. Die Nutzung erfolgt auf privaten Geräten oder im Rahmen individueller Arbeitsoptimierung. Das birgt Risiken, aber auch Chancen – insbesondere dann, wenn Banken das vorhandene Engagement ihrer Belegschaft aktiv aufgreifen und strukturieren.
Blick über den Tellerrand: Was andere Branchen machen
Die Studie zeigt eindrücklich, dass konkrete KI-Anwendungen bereits heute erfolgreich funktionieren – und zwar quer durch Branchen:
- Ein Stahlhändler automatisiert 70 Prozent seiner Auftragsabwicklung mit einem KI-Assistenten, spart Ressourcen und steigert die Datenqualität.
- In der Baubranche ersetzt ein KI-Sprachassistent die manuelle Rapportierung – mit einer Produktivitätssteigerung von über 12 Prozent.
- Ein Edelsteinlabor senkt durch den Einsatz eines spezialisierten «KI-Superexperten» die Kosten und erschliesst mit digitalen Produkten neue Märkte.
Diese Anwendungsbeispiele zeigen: KI muss nicht disruptiv sein, um Wirkung zu entfalten. Gerade in hochregulierten Branchen wie dem Bankensektor können gezielte, datenbasierte Anwendungen enorme Mehrwerte schaffen – es braucht aber den Mut, sie anzupacken.
Datenqualität als entscheidender Erfolgsfaktor
Ein zentrales Fazit der Studie: Ohne qualitativ hochwertige Daten bleibt jedes KI-Projekt Stückwerk. Die Aufbereitung, Strukturierung und Pflege von Daten ist oft der aufwändigste Teil – aber auch derjenige, der den Unterschied macht. Unternehmen mit gutgepflegten Datenbeständen können KI viel schneller und präziser einsetzen. Das gilt insbesondere für Banken, die über grosse Datenmengen verfügen, deren Potenzial aber häufig ungenutzt bleibt.
Während grosse Unternehmen eigene KI-Abteilungen aufbauen können, fehlt es vielen kleinen und mittleren Finanzinstituten oftmals an Know-how und Ressourcen. Die gute Nachricht: Es gibt in der Schweiz zahlreiche Partnerinstitutionen – wie beispielsweise das Swiss Data Science Center (SDSC), das CSEM oder spezialisierte Start-ups –, die den Zugang zu erprobten Lösungen erleichtern. Diese Zusammenarbeit kann helfen, Barrieren abzubauen und schnell in die Umsetzung zu kommen.
KI ist kein Projekt, sondern eine strategische Weichenstellung
Der Wandel ist nicht mehr aufzuhalten. Banken, die heute gezielt erste KI-Projekte starten, schaffen nicht nur kurzfristige Effizienzgewinne, sondern machen sich langfristig resilient und zukunftsfähig. Die Anforderungen der Kunden verändern sich ebenso wie die regulatorischen Rahmenbedingungen. KI bietet die Chance, beidem gerecht zu werden – durch höhere Servicequalität, mehr Personalisierung und schnellere Prozesse.
Die zentrale Botschaft der Raiffeisen-Studie: Künstliche Intelligenz wird nicht optional bleiben. Sie wird zur Grundanforderung. Für Banken ist jetzt der richtige Moment, den Wandel aktiv zu gestalten – bevor andere ihn bestimmen.