Diversity, Equity & Inclusion (DE&I) stehen seit Jahren auf den Agenden von Personalabteilungen und Konzernleitungen. Doch zwischen Imagepflege und echtem Wandel klafft oft eine Lücke. Wer glaubt, mit einem «Diversity-Programm» sei es getan, greift zu kurz. Unternehmen, die Vielfalt strategisch nutzen, setzen auf etwas Tiefergehendes: eine gelebte Kultur der Inclusion.
«Inclusion ist keine Zusatzaufgabe, sondern Teil moderner Führung», sagt Prof. Gudrun Sander von der Universität St. Gallen. Die renommierte DE&I-Expertin leitet das Competence Center forDiversity, Disability and Inclusion (CCDI) der Universität St. Gallen und berät Unternehmen auf dem Weg zu echter Chancengerechtigkeit.
Sensibilisierung für Banken
Arbeitgeber Banken bietet seinen Mitgliedern seit Jahren verschiedene Veranstaltungen und Publikationen zum Thema DE&I in Zusammenarbeit mit dem CCDI an. So stiess beispielsweise im vergangenen Jahr ein auf die Bankbranche zugeschnittenes DE&I-Programm, indem über das ganze Jahr verteilt in verschiedenen Formaten wie Webinaren und Workshops relevante Inhalte vermittelt und diskutiert wurden, auf reges Interesse. Im kommenden Herbst organisiert Arbeitgeber Banken für die Fach-Community der Banken in der Schweiz die Tagung «Together for Inclusion in Banking», die einen wertvollen Praxis- und Erfahrungsaustausch zu aktuellen DE&I-Themen bieten wird.
Leistung braucht Fairness
Der Glaube an die Leistungsgesellschaft ist tief verankert – gerade in der Schweiz. Doch wie leistungsbezogen ist ein System wirklich, in dem in Bewerbungsverfahren oftmals und immer noch mehr auf Konformität als auf Qualifikation gesetzt wird?
Die Organisationspsychologin Ludmila Praslova kritisiert die Vorstellung, dass Inclusion und Leistung Gegensätze seien: «Wer wirklich auf Leistung setzt, muss Inclusion ermöglichen. Denn nur dann wird Talent sichtbar – unabhängig von Geschlecht, Alter oder Behinderung.» In ihrem aktuellen Essay in der Harvard Business Review zeigt sie anhand eindrücklicher Beispiele, wie systematische Hürden – von Interviewmethoden bis Altersdiskriminierung – Talente ausbremsen, bevor sie überhaupt wirken und Leistung zeigen können. Ihr Appell: «Wir müssen Barrieren abbauen, bevor wir Leistung bewerten.
Führung im Wandel
Dass DE&I kein «Nice to have» ist, zeigt sich in der Unternehmenspraxis. Bei Merck Schweiz etwa gehören Fertility Benefits, flexible Arbeitsmodelle und klare Gleichstellungsziele zur Strategie. General Manager Florian Schick erklärt: «Wirkliche Geschlechtergerechtigkeit braucht konkrete Massnahmen – nicht nur Absichten.»
Auch bei Farner Schweiz, einer Kommunikationsagentur mit flachen Hierarchien, wird Gleichstellung aktiv gefördert. CEO Michel Grunder: «Wir wollen, dass auch Menschen mit Teilzeitpensen Karriere machen können.» Diversity sei kein Bonus, sondern Voraussetzung für gute Entscheidungen, ist Grunder überzeugt.
Vielfalt ist mehr als Statistik
Vielfalt zeigt sich nicht nur in Nationalitäten oder Geschlechtern, sondern auch in Denkweisen, Biografien und Arbeitsmodellen. Entscheidend ist: Wie wird in einem Unternehmen mit dieser Vielfalt umgegangen?
Das CCDI sieht «Inclusion» als Schlüssel. Nur wer sich zugehörig fühlt und sich selbst sein kann, bringt sich auch aktiv und gewinnbringend ein – und bleibt im Unternehmen. Um dies zu erreichen, braucht es drei zentrale Elemente
- Sensibilisierung für unbewusste Vorurteile (Unconscious Bias)
- Evidenzbasierte, transparente HR-Prozesse
- klare Verantwortungen im Management
Gerade in Branchen mit Fachkräftemangel ist es laut CCDI zentral, alle Potenziale zu aktivieren – vom Wiedereinstieg bis zur Generation 50+.
Image allein reicht nicht
In den USA ziehen sich Unternehmen wie Walmart oder Google auf Druck der aktuellen Trump-Regierung und konservativer Kreise teilweise aus ihren DE&I-Initiativen zurück. In der Schweiz ist die Lage differenzierter, doch auch hier wächst die Skepsis. Viele Unternehmen meiden heute Begriffe wie «Diversity» oder «Inclusion», aus Angst vor politischem Widerstand. Doch das Ziel bleibt dasselbe: Chancengerechtigkeit, faire Prozesse und eine respektvolle Zusammenarbeit. Ob man es nun «Fairness», «People&Culture» oder «Zukunftsfähigkeit» nennt – entscheidend ist, dass DE&I als Teil der Unternehmenswerte gelebt wird und strategisch verankert ist. Nur dann kann es Wirkung entfalten.
Was also tun? Ein Reframing ist nötig, sagen Expert:innen: Nicht der Begriff, sondern das Anliegen zählt. Fairness, Respekt und Talentförderung lassen sich auch in andere Change-Prozesse integrieren – ohne Etikett, aber mit Wirkung.
Kultur schlägt Kampagne
Organisationen, die Vielfalt nicht nur messen, sondern gestalten, gewinnen! Sie sind innovativer, resilienter –und attraktiver für Talente. Diversity und Inclusion sind keine Wohlfühlprogramme, sondern Treiber für Innovation, Motivation und Wettbewerbsfähigkeit. Sie ermöglichen echten Impact – für Menschen, Unternehmen und Gesellschaft. Doch das gelingt nur, wenn Führungskräfte vorangehen. Mit Haltung, mit Offenheit und mit dem Mut, echte Verantwortung zu übernehmen. Denn am Ende geht es nicht um ein schön gestaltetes Logo oder plakative Schlagworte auf der Karriereseite des Unternehmens. Es geht immer um Menschen und deren Entfaltungspotenzial.