«Innovation ist nur möglich, wenn die Rahmenbedingungen stimmen»

Arbeitgeber-Banken-Präsident Lukas Gähwiler nimmt Stellung zu den Schwerpunkten seines Verbandes, zur Sozialpartnerschaft in der Bankbranche sowie zu den aktuellen und künftigen Herausforderungen der Schweizer Banken

Lukas Gähwiler, Sie sind nun seit gut einem Jahr Präsident von Arbeitgeber Banken. Was konnten Sie im vergangenen Jahr an der Spitze des Arbeitgeberverbandes der Banken in der Schweiz bewegen?

Ich durfte bei meinem Amtsantritt im Juni 2017 einen gut organisierten und gut geführten Verband übernehmen. Und dennoch habe ich mich manchmal gefragt, ob wir bei Arbeitgeber Banken immer das Richtige tun. Wir haben uns deshalb entschieden, im Vorstand von Arbeitgeber Banken einen Strategieprozess zu initiieren, um die thematischen Schwerpunkte, die Kommunikation und die Organisation unseres Verbandes zu überprüfen. Dabei haben wir festgestellt, dass wir uns noch klarer auf wenige Schwerpunkte fokussieren müssen, um das Profil unseres Verbandes noch deutlicher zu schärfen.

Wo setzt denn Arbeitgeber Banken vor dem Hintergrund dieses Strategieprozesses nun die Prioritäten in der Verbandsarbeit?

Die Mission von Arbeitgeber Banken setzt sich aus fünf Stossrichtungen zusammen. Mit der demografischen Entwicklung und dem Strukturwandel stehen zwei zentrale strategische Herausforderungen für unsere Branche im Fokus. Bei diesen Themen besteht unsere Aufgabe vor allem darin, unsere Mitglieder zu sensibilisieren, Grundlagen zu erarbeiten und Empfehlungen und Hilfestellungen abzugeben. Daneben sind der Einsatz für liberale Arbeitsmarktbedingungen, die Pflege der Sozialpartnerschaft und natürlich die Beratung unserer Mitglieder drei konkrete Tätigkeitsbereiche, die sich aus unserem Grundauftrag ergeben. In diesen drei Bereichen nimmt Arbeitgeber Banken aktiv Einfluss und gestaltet mit eigenen Massnahmen mit.

Bleiben wir zunächst bei den strategischen Themen Demografie und Strukturwandel. Wo sehen Sie hier die Herausforderungen?

Wir müssen uns klar vor Augen führen, dass in den nächsten zehn Jahren in der Schweiz 500‘000 Arbeitskräfte verschwinden werden, da mehr Arbeitnehmer in Pension gehen als in den Arbeitsprozess eintreten. Dies führt zu einem Fachkräftemangel, wie wir ihn in unserem Land noch nie gesehen haben. Und die Sozialwerke werden als Folge dieser Entwicklung an ihre Grenzen stossen. Diese müssen also rasch und vor allem intelligent reformiert werden. Hinzu kommen mit dem Strukturwandel grosse Veränderungen in der Arbeitswelt: Die Digitalisierung und das Aufbrechen von Wertschöpfungsketten werden zu massiven Veränderungen führen. Es entstehen neue Arbeitsformen, und es werden künftig auch in der Bankbranche ganz neue Kompetenzprofile verlangt. Dies stellt uns vor zwei grosse Herausforderungen: Erstens die Sicherstellung von genügend Arbeitskräften mit den erforderlichen Kompetenzen und zweitens der Erhalt der Arbeitsmarktfähigkeit unserer Mitarbeitenden.

Sie bezeichnen den Erhalt der Arbeitsmarktfähigkeit als eine der grössten Herausforderungen. Was verstehen Sie genau darunter?

Zunächst stelle ich fest, dass sich der Begriff der Arbeitsmarktfähigkeit in den letzten Jahren stark verändert hat. Früher waren wir arbeitsmarktfähig, wenn wir in der Lage waren, einen Beruf zu lernen und täglich auszuüben. In einer sich immer schneller wandelnden Arbeitswelt geht es mittlerweile aber vor allem darum, sich an die ändernden Umstände anzupassen und weiterzuentwickeln. Arbeitsmarktfähigkeit beschreibt deshalb heute primär die Fähigkeit, sich laufend an neue Situationen und Rollen anzupassen. Für mich ist deshalb klar: Arbeitsmarktfähigkeit ist die neue Arbeitsplatzsicherheit.

Das tönt einleuchtend, aber was kann hier ein Arbeitgeberverband leisten?

Selbstverständlich ist für den Erhalt der so definierten Arbeitsmarktfähigkeit in erster Linie jeder und jede selber verantwortlich. Aber auch die Arbeitgeber haben eine Verantwortung, indem sie die Mitarbeitenden bei der Weiterbildung nach Möglichkeit unterstützen. Als Arbeitgeberverband können wir vor allem informieren und sensibilisieren, also unsere Mitglieder auf die Bedeutung der Arbeitsmarktfähigkeit aufmerksam machen. Das reicht uns aber noch nicht. Deshalb haben wir mit kompetenten Partnern den Zertifikatskurs «Arbeitskompetenz 4.0» entwickelt, der sich an Bankangestellte richtet, die sich mit den aktuellen und zukünftigen Trends in der Arbeitswelt vertraut machen und sich gezielt weiterentwickeln möchten.

Das Engagement für einen liberalen Arbeitsmarkt in der Schweiz ist ein Grundauftrag von Arbeitgeber Banken. Ist denn das so wichtig für die Banken?

Ja, die liberalen Arbeitsmarktbedingungen sind ein zentraler Erfolgsfaktor unserer Wirtschaft im Allgemeinen und des Finanzplatzes Schweiz im Besonderen. Schauen Sie, es geht uns gut in der Schweiz. Wir belegen im weltweiten Vergleich Spitzenplätze – beispielsweise beim Lebensstandard, der Lebensqualität oder der Wettbewerbsfähigkeit. Aber wir müssen uns immer wieder bewusst machen, warum das so ist. Wir dürfen uns nicht auf diesen Lorbeeren ausruhen. Spitzenplätze muss man sich stets neu und hart erkämpfen – wie das Roger Federer im Tennissport eindrücklich beweist.

Das stellt aber auch niemand ernsthaft in Frage, oder?

Doch, das ist leider immer mehr der Fall! Vor allem von politisch linker Seite gibt es die Tendenz, dass vermehrt Themen der pragmatischen, unternehmensinternen Regelung entzogen und auf Bundesebene reguliert werden. Dabei geht es um Themen wie Sozialplanpflicht, Lohngleichheit, Vaterschaftsurlaub, Frauenquoten und viele andere, die jeweils einen Eingriff in das liberale Arbeitsrecht zur Folge haben. Damit wird einer unserer grossen Standorttrümpfe kontinuierlich auf die Probe gestellt. Viele globale Entwicklungen können wir in der Schweiz nicht oder nur bedingt beeinflussen. Das Arbeitsgesetz und damit die liberalen Arbeitsmarktbedingungen können wir aber ganz konkret hier bei uns beeinflussen und damit zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit unseres Standorts beitragen. Wir müssen diesem Standortvorteil auch künftig grösste Sorge tragen!

Wenden wir uns dem Thema Sozialpartnerschaft zu. Seit 100 Jahren pflegt die Bankbranche einen sozialpartnerschaftlichen Dialog. Ist das heute noch zeitgemäss?

Diese Frage lässt sich am besten mit einem «Ja – aber» beantworten. Arbeitgeber Banken und damit die Schweizer Bankbranche stehen zur Sozialpartnerschaft, weil wir der Auffassung sind, dass es im Bereich der Arbeitsbedingungen einige Themen gibt, die sich am besten auf Branchenebene lösen lassen. So gesehen kann eine sozialpartnerschaftliche Lösung eine Form der Selbstregulierung sein. Aus dieser Überzeugung wurde das ausdrückliche Bekenntnis zur Sozialpartnerschaft bei der Gründung von Arbeitgeber Banken im Jahr 2009 in der Mission verankert. Man darf auch nicht vergessen, dass unser Verband Träger eines der grössten Gesamtarbeitsverträge in der Schweiz ist, dem rund 65‘000 Mitarbeitende unterstellt sind. Wir anerkennen also die Bedeutung der Sozialpartnerschaft, wollen und müssen deren Formen und Inhalte vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und des Strukturwandels aber weiterentwickeln.

Wie kann denn eine solche Weiterentwicklung der Sozialpartnerschaft aussehen?

Wir streben einen Paradigmenwechsel in der Sozialpartnerschaft an, weil die angesprochenen Umfeldveränderungen einen fundamentalen Wandel im Arbeitsmarkt zur Folge haben. Die Arbeitsmodelle verändern sich in Bezug auf Ort, Zeit und Organisation. Und damit muss sich unserer Meinung nach auch die Ausrichtung der Sozialpartnerschaft verändern. Vor 100 Jahren ging es in der Sozialpartnerschaft um die Definition von minimalen Arbeitsstandards für alle Mitarbeitenden unserer Branche. Heute steht die Sicherstellung der individuellen Arbeitsmarktfähigkeit im Rahmen des Strukturwandels und der demografischen Veränderung klar im Vordergrund. Diese Themen sind von fundamentaler Bedeutung und gleichzeitig auch sehr komplex, weshalb sie nicht mehr einfach auf dem Weg der klassischen GAV-Verhandlungen angegangen werden können. Wir fordern stattdessen einen echten Dialog mit unseren Sozialpartnern und eine gemeinsame Prioritätensetzung, aus der dann auch eine Massnahmenplanung abgeleitet werden kann.

Das ist in der Tat ein neuer und interessanter Ansatz. Glauben Sie, dass das funktionieren kann?

Wir sind überzeugt, dass dies der richtige Weg ist. Zudem haben wir auch keine andere Wahl: Die Herausforderungen der neuen Arbeitswelt erfordern neue und vielfältige sozialpartnerschaftliche Lösungsformen. Ein einseitiges Fixieren auf GAV-Lösungen erscheint dabei nicht mehr zeitgemäss. Stattdessen möchten wir uns am Grundsatz «Inhalt vor Form» orientieren. Dabei gilt es, zuerst gemeinsam das Problem zu analysieren und dann die wirkungsvollste Massnahme zu wählen. Das kann zum Beispiel auch ein gemeinsames Informations- oder Sensibilisierungsprojekt oder eine gemeinsame Veranstaltung sein, aber auch eine Empfehlung oder das Aufzeigen von sogenannten Best-Practice-Beispielen. Arbeitgeber Banken ist bereit für ein neues Zeitalter der Sozialpartnerschaft – im Interesse eines starken, dynamischen und erfolgreichen Finanzplatzes mit vielen attraktiven und zukunftsgerichteten Arbeitsplätzen.

Sie haben gesagt, dass die Arbeitgeber in der Bankbranche vor grossen Herausforderungen stehen. Wie unterstützt Arbeitgeber Banken seine Mitglieder, um diese Herausforderungen meistern zu können?

Selbstverständlich stehen unsere zahlreichen Mitglieder im Mittelpunkt unserer Arbeit. Es ist unsere oberste Maxime, dass alles, was wir tun, im Interesse unserer Mitglieder liegt. Wir beraten und unterstützen sie nach Bedarf und nehmen zentrale Themen aktiv auf. Ein ganz konkretes und aktuelles Beispiel hierfür ist die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative. Unser Vorstand hat schnell erkannt, dass in den Human Resources-Abteilungen vieler Banken grosse Fragezeichen zum Umsetzungskonzept des Bundesrates mit der Stellenmeldepflicht bestehen. Also haben wir eine Roadshow auf die Beine gestellt, mit der wir in diesem Frühjahr durch die ganze Schweiz getourt sind, um unsere Mitglieder auf die Umsetzung dieser Pflicht per 1. Juli vorzubereiten.

Machen wir zum Schluss den Fächer etwas weiter auf. Wie beurteilen Sie die Situation des Wirtschaftsstandorts Schweiz und des Finanzplatzes?

Wie bereits erwähnt, ist die Ausgangslage nach wie vor gut. Es gibt aber auch Bereiche, in denen es nicht so rosig aussieht. So ist die Schweiz beispielsweise bei den Rahmenbedingungen für die Geschäftstätigkeit nicht mehr an der Spitze. Die Weltbank stellt regelmässig das sogenannte «Ease of Doing Business»-Ranking zusammen. In dieser Kategorie fiel die Schweiz zwischen 2005 und 2017 vom 11. auf den 31. Rang zurück – hinter Frankreich und kurz vor Kasachstan. Im neuen «World Bank Ease of Starting a Business»-Ranking liegt die Schweiz gar auf Platz 71 – hinter Ländern wie Aserbaidschan, Burundi oder der Mongolei. Solche Meldungen müssen uns aufrütteln!

Was bedeutet das für den Finanzplatz Schweiz?

Auch in Bezug auf den Finanzplatz gibt es Zahlen, die wir sehr ernst nehmen müssen. So sind beispielsweise gemäss «Global Financial Centres Index» der Finanzplatz Zürich in den Jahren 2006 bis 2018 vom 5. auf den 16. Rang und der Finanzplatz Genf vom 10. auf den 26. Rang zurückgefallen. Eine KPMG-Studie aus dem Jahre 2017 über die Privatbanken in der Schweiz zeigt deutlich auf, dass die Kosten steigen und die Margen sinken. Geradezu erschütternd sind die Resultate des EY Bankenbarometers 2018. Daraus geht unter anderem hervor, dass die Banken in der Schweiz zwischen 2000 und 2016 ihr Hypothekarvolumen verdoppeln konnten. Im gleichen Zeitraum haben sich aber die Jahresgewinne mehr als halbiert.

Das sind alarmierende Zahlen. Wie lassen sich diese erklären?

Diese Entwicklung lässt sich primär damit erklären, dass der Sachaufwand gemäss der erwähnten EY-Studie zwischen 2000 und 2016 um fast 50 Prozent gestiegen ist – vor allem wegen IT-Anpassungen und dem Ausbau der Kontrollfunktionen. Und damit wären wir wieder beim Thema Regulierung. Ich gebe Ihnen dazu ein Beispiel: Eine Grossbank sieht sich heute mit rund 200 Regulierungen pro Tag konfrontiert, das sind über 50‘000 pro Jahr! Im Jahre 2011 waren es noch 60 Regulierungen pro Tag. Das kostet die Schweizer Banken massiv Geld – wir sprechen hier von Milliarden pro Jahr!

Was können die Banken tun, um dieser Entwicklung entgegen zu wirken?

Die Banken in der Schweiz tun das, was sie immer schon getan haben: Sich auf neue Situationen einstellen, Geschäftsmodelle anpassen, Strukturen überprüfen und verändern. Vor allem aber bleiben sie innovativ und entwickeln Produkte, die den veränderten Kundenbedürfnissen entsprechen. Neu ist allerdings, dass die Innovationszyklen immer schneller werden. Darin sehe ich die grosse Herausforderung für die Banken und ihre Mitarbeitenden. Zudem ist es nicht immer einfach, sich auf die Entwicklung des Geschäfts zu konzentrieren, wenn – wie gezeigt – die Aufmerksamkeit immer mehr auf die Umsetzung von Regulierungsvorgaben gelenkt wird. In diesem Zusammenhang kann ich meinen Appell nur wiederholen: Innovation ist nur möglich, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Deshalb liegen mir die Arbeitsmarktbedingungen so sehr am Herzen.

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